So Einiges über Ottenbach und die Reuss

Aus Ottenbach
Version vom 28. Dezember 2012, 12:29 Uhr von Peter.eichhorn (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „Referat von Fritz Egger, Ottenbach Anlässlich einer Geburtstagseinladung, am 15.Dezember 2012, im Restaurant Reussbrücke, Ottenbach, wurden die ankommenden …“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Referat von Fritz Egger, Ottenbach

Anlässlich einer Geburtstagseinladung, am 15.Dezember 2012, im Restaurant Reussbrücke, Ottenbach, wurden die ankommenden Gäste von drei Ottenbacher Spräggele mit lautem Geklapper begrüsst und zum Apero begleitet. Einer der drei Spräggeler, Fritz Egger, unterhielt anschliessend die Gäste mit dem interessanten Referat über Ottenbach und die Reuss.

Ottenbacher Spräggele

Sie sind der Jahreszeit entsprechend von Spräggele, auch Schnabelgeissen genannt, empfangen worden.

In den Büchern wird dieser uralte Brauch als Fruchtbarkeitsbrauch beschrieben. Wenn aber in Ottenbach nach dem Sinn des Brauches gefragt wird, wird einem das Vertreiben von bösen Geistern und von Hexen in der dunkeln Jahreszeit als Grund des Brauchs genannt. Diesem Brauch wurde früher in verschiedenen Gemeinden des Amts gefrönt. Seit Jahrzehnten wird er aber, jeweils an den ersten zwei Freitagen im Dezember, nur noch in Ottenbach ausgeübt.

Am ersten Freitag sind es die Kinder, welche sich die Spräggele auf den Rücken binden und unter das Leintuch kriechen. So verkleidet treffen sie sich an einem vereinbarten Ort und ziehen gemeinsam ins Dorfzentrum um die dort wartenden „Gspänli“ und andere Personen zu erschrecken und vor sich her zu treiben.

Am zweiten Freitag sind es Jugendliche und junge Erwachsene, vor allem aus dem Turnverein, welche mit ihren Spräggele das Dorf unsicher machen und versuchen von herumstehenden Zuschauern Kappen, Hüte und andere Ge-genstände in den Schnabel zu bekommen und sich damit davon zu machen. Seit zirka zwanzig Jahren findet am zweiten Freitag auf dem Dorfplatz ein kleiner Weihnachtsmarkt, der „Spräggelemärt“ statt. Der Markt mit seinen Lichtern, zusammen mit den Spräggele, ergibt eine einzigartige Ambiance.

Wo liegt Ottenbach?

Ottenbach liegt in der äussersten westlichen Ecke des Kantons Zürich. Nördlich und westlich grenzt das Dorf an den Kanton Aargau. Im Norden kommt man über Jonen ins Kelleramt und nach Bremgarten. Nach dem Überschreiten der Reuss kommt man im Westen ins Freiamt nach Birri, Muri und, über den Lindenberg, ins Luzerner Seetal.

Die Kantonsgrenze war lange Zeit eine strickte Konfessionsgrenze zwischen Reformierten und Katholiken. Lange Zeit gab es kaum Heiraten über diese Grenzen hinweg. Zu meiner Kinder- und Jugendzeit war es ein geflügeltes Wort, wenn man sich über die Reuss ins Freiamt begab, „man gehe in den schwarzen Erdteil“.

Ottenbach liegt im Knonaueramt, oder im Säuliamt. Knonaueramt, weil zur Zeit der Herrschaft der Stadt Zürich, der Vogt im Schloss Knonau residierte. Säuliamt, weil die Bauern aus unserer Gegend damals ihre Schweine über den Albis nach Zürich auf den Markt trieben.

831 wird Ottenbach im Urkundenbuch des Klosters St. Gallen, als „marcha Hottumbacharia“ – March von Ottenbach – erstmals erwähnt. Über Ottonbac und Hottenbach wurde dann endgültig Ottenbach. Dies ist abgeleitet von „Bach des Otto“.

Die Gegend war aber früher schon besiedelt, wie Funde aus der Hallstatt- und Römerzeit beweisen.

Im Mittelalter gehörte Ottenbach zum Besitz der Freiherren von Eschenbach, später dann zu jenem der Habsburger. 1415 kam Ottenbach in den Besitz der Stadt Zürich.

Das Wappen: der Ottenbacher Güggel

Das Wappen zeigt einen stolzen schwarzen „Güggel“, mit rotem „Kamben“ und Beinen, im weissen Feld. Das Wappen erschien erstmals Ende des 15. Jahr-hundert, ohne dass man weiss woher es stammt. 1928 wurde es zum offiziellen Gemeindewappen erhoben. Dass der Güggel nach links schreitet hat politisch nichts zu bedeuten.

Bauerndorf?

Solange Ottenbach ein Bauerndorf war schwankte die Einwohnerzahl zwischen 900 und 1100 Personen. Ab 1950 setzte auch in Ottenbach die Bautätigkeit ein und die Bevölkerungszahl stieg kontinuierlich auf heute 2450 Personen. Heute gibt es im Dorf nur noch eine Hand voll Bauern mit Vollerwerbsbetrieben. Da-neben existieren auch noch einige Ackerbaubetriebe, deren Besitzer regelmässig noch einer anderen Beschäftigung nachgehen. Dies sind aber keineswegs mehr „Rucksackbauern“, wie es sie früher gab, deren Einkommen aus Bauernbetrieb und Nebenarbeit oft kaum zum Leben reichte.

Gewerbe und Seidenindustrie, Einkaufscenter

In unserem Dorf sind verschiedenste kleine und mittlere Gewerbebetriebe an-sässig, jedoch keine Industriebetriebe. Viele Einwohner pendeln und arbeiten auswärts. Dies ist dank dem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr problemlos möglich.

Von 1869 bis 1975 bestand eine andere Situation. Zu dieser Zeit bestand im Dorf eine Seidenstoffweberei mit bis zu 200 Angestellten. In der „Fabrik“ oder „Pfupfi“ arbeiteten vor allem Frauen aus dem Dorf und der Umgebung. Dort ratterten bis zu 300 Webstühle.

Heute ist in den Gebäuden der ehemaligen Weberei das Haas Shopping zu finden. Dies ist ein kleines Einkaufscenter mit allerlei Nötigem und auch Unnö-tigem. Eine Verbindung zur Weberei besteht aber noch. Es gibt dort eine grosse Auswahl an Stoffen für jeden Verwendungszweck zu kaufen.

Ein Grenzfluss

Die Reuss mäanderte lange Zeit wild durch die Ebene und veränderte ihren Lauf oft. Mit der Zeit wurde der Fluss immer mehr gezähmt und in ein Bett gezwängt. Seit dem 15. Jahrhundert ist die Reuss Grenzfluss. Zuerst zwischen Zürich und der Gerichtsbarkeit Luzern, zu der das Gebiet westlich der Reuss gehörte. Seit dessen Gründung bildet sie die Grenze zum Kanton Aargau.

Freizeit an der Reuss

Das Leben vieler Ottenbacherinnen und Ottenbacher ist eng mit der Reuss verbunden. Dies besonders in der Warmen Jahreszeit, wenn die Reuss zur „Badi“ von Ottenbach wird. Bevor man aber ins kühle Nass tauchen kann, ist es nötig, dass man am Ufer, mehr oder weniger weit, aufwärts läuft. Dort steigt oder springt man ins Wasser, schwimmt in die Strömung hinaus und lässt sich bis zum Ausgangspunkt zurück treiben. Sobald die Wassertemperatur gegen 15° steigt beginnt für ganz eingefleischte die Badesaison. Dies gilt besonders für Gruppe der „Rüssbader“, deren Saison jeweils erst wieder am zweiten Sonntag im Oktober endet. Zum „Endbaden“ gehört normalerweise eine Verkleidung (Bild 1). Diese verhindert dass tiefe Wassertemperaturen als kalt wahrgenommen wer-den.

Auch der Pontonierfahrverein, mit seinem Vereinshaus am Ufer der Reuss, verbindet Ottenbach mit der Reuss. Dieser militärisch organisierte Verein führt seine Fahrübung mit Militärbooten auf der Reuss durch, und zwar nicht mit Mo-torantrieb, sondern mit Muskelkraft.

Landwirtschaft im Aargau

Eine weitere Verbindung schaffen die gegen 140 Hektaren landwirtschaftlich genutzten Boden, welche Ottenbacher Bauern, auf Gemeindegebiet von Merenschwand, auf der anderen Reussseite besitzen. Praktisch eine Ottenbacher Exklave. Entstanden ist diese spezielle Situation voraussichtlich durch eine Veränderung des Flusslaufes, die dieses Land vom Gemeindegebiet von Ot-tenbach abgeschnitten hat.

Die Bewirtschaftung, vor allem Weidebetrieb und Heuernte, waren ursprünglich sehr mühsam, bestand doch damals noch keine Brücke. So mussten Tiere und Heu mit einer Fähre über den Fluss transportiert werden.

Brückenbau

Nach dem immer öfters Klagen über Heudiebstähle durch Merenschwander Bauern gemeldet wurden, stellte der Ottenbacher Pfarrer anfangs des 18. Jahrhunderts das Begehren an Zürich, eine Brücke zu bauen. Dieses Begehren wurde aber prompt abgelehnt.

Erst 1863, nach langen Verhandlungen mit den Kantonen Zürich und Aargau, durfte Ottenbach eine Eisenbrücke bauen. An die Kosten, von total Fr. 95'817, trugen der Kanton Zürich Fr. 25'000, der Kanton Aargau Fr. 41'000 und die Gemeinde Ottenbach Fr. 22'187 bei. Fr. 7630 stammten aus Spenden. Der hohe Kostenanteil des Kantons Aargau begründet sich dadurch dass die neue Brücke einen schnellen und direkten Weg aus dem Freiamt nach Zürich und zur im gleichen Jahr eröffneten Ämtler Bahnlinie herstellte. Eingeweiht wurde die Brücke 1864. Sie erfüllte ihren Dienst bis 1955, als sie durch die heutige Betonbrücke ersetzt wurde.

Störche und Biber

Seit einigen Jahren sind in der Reussebene auch wieder Störche und Biber an-zutreffen.

Störche trifft man oft, auch in grossen Gruppen. Ein Paar nistet regelmässig auf dem Hochkamin der ehemaligen Seidenweberei.

Die Biber hingegen sind scheue Tiere und nur sehr selten sichtbar. Aber Biss-spuren am Ufer beweisen dass sie wieder hier ansässig sind. Die Reussebene ist ein beliebtes Naherholungsgebiet.

Reusshochwasser

Die Reuss war und ist nicht immer ein ruhiger Fluss. Bei Hochwasser trat sie immer wieder über die Ufer und überflutete grössere oder kleinere Teile der Reussebene. Dabei richtete teilweise grossen Schaden an. Um weitere Schäden zu verhindern, baute der Kanton Aargau 1860 auf seiner Reussseite einen Hochwasserschutzdamm von Mühlau bis nach Rottenschwil. Einige Male wurde aber auch dieser Damm überschwemmt oder er brach.

Im Zusammenhang mit der grossen Reusstalmelioration im Aargau wurde der Damm teilweise neu gebaut oder der Bestehende erhöht. Dieser vermochte bis-her allen Hochwassern standzuhalten, auch das grösste Hochwasser aller Zeiten. Dieses erlebten wir am 21./22. August 2005. Das ganze Gebiet vom Reussdamm auf Aargauer Seite bis zum Abhang gegen Ottenbach stand unter Wasser. Nur Strasse und Brücke lagen über dem Wasser.

Auch das Restaurant Reussbrücke und der Campingplatz waren überflutet, wie auch die tiefer liegenden Teile der Fabrik. Im Raum in dem wir uns befinden stand das Wasser ca. 120 cm hoch, bis zum Lichtschalter beim Eingang. Die Bilder zum Hochwasser zeigen:

2 – die Situation beim Pontonierhaus 3 – unterer Eingang des Restaurants Reussbrücke und Campingplatz 4 – dramatische Situation am Fabrikkanal

Die Reuss als Antriebskraft

Über Jahrhunderte trieb das Reusswasser auch eine Getreidemühle an. Zuerst im Gebiet des Restaurants Reussbrücke. In den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Wasserrecht für den Bau eines Mühlekanals mit Ein-laufwehr, dem heutigen Fabrikanal, erteilt. Die Mühle rentierte aber nicht mehr lange. Der Müller verkaufte sie daher um 1860 an eine Seidenstoffwebereifirma in Zürich. Diese begann dort mit dem Bau der Seidenstoffweberei. Der Antrieb der Webstühle erfolgte am Anfang weiterhin über ein Wasserrad und Transmis-sionsriemen. Später wurde eine Turbine eingebaut, aber weiterhin führte eine Welle durch den ganzen Websaal, von der zu jedem Webstuhl ein Transmissi-onsriemen führte. Nach einigen Jahren wurde die Turbine mit einem Generator ausgerüstet und die Webstühle elektrifiziert. Um auch bei Niedrigwasser immer genügend elektrische Energie zu haben, installierte man zusätzlich eine Dampfmaschine daher der Name „Pfupfi“ für die „Fabrik“. Die Turbinenanlage ist heute als industriehistorisches Schutzobjekt im Besitz des Kantons Zürich.

Obstanbau

Ottenbach war früher geprägt durch riesige Obstgärten rund ums Dorf. Damals trank man, neben Wasser, vor allem Most als Durstlöscher. Je nach Bauernhof auf dem der sauere Most hergestellt wurde, war er mehr oder weniger bekömmlich. Aus den Obstgärten ragten die hohen Bäume der Ottenbacher Schellerbirne heraus. Die ertragsreiche Sorte stammt, wie es der Name sagt, aus Ottenbach. Sie sind nicht sehr süss und ein wenig rau auf der Zunge und eignen sich daher nur zum Mosten oder Dörren. Leider nimmt der Bestand auch dieser Sorte immer mehr ab und es gibt nur noch wenige Exemplare.

Foto 5 zeigt Ottenbach mit seinen Obstgärten um ca. 1946.

Huldrich Zwingli und Paul Schneebeli

Der Ottenbacher Hobbyhistoriker Paul Schneebeli (1928 – 2005) hat die ver-schiedensten Themen aus der Geschichte von Ottenbach aufgearbeitet. Von den Dorfbränden über Weinschenken, Gasthöfe und Pinten im Dorf, bis zur Geschichte der Landwirtschaftlichen Genossenschaft, wo er viele Jahre als Verwalter tätig war. Dazu studierte er im Staatsarchiv während vielen Stunden alte Schriftstücke.

Dabei hat er auch entdeckt dass von Ottenbach eine direkte Linie zum Refor-mator Huldrych Zwingli führt. Er hat dokumentiert, dass für mehr als 20 Otten-bacher Familien der Stammbaum bis zum Reformator zurück reicht.

Dass die Ottenbacher dadurch frommer wären und die Kirche fleissiger besuch-ten, kann man aber nicht behaupten. Vielleicht gelingt das aber der neuen jungen Pfarrerin, die kürzlich gewählt wurde und die am 6. Januar eingesetzt wird.

Die erwähnten Fotos können zurzeit noch nicht eingefügt werden, sind aber beim Autor digital verfügbar