Ottenbacher Geschichten und Sagen

Aus Ottenbach
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Eine unheimliche Engel - Geschichte

Wer kennt nicht den Engel in Ottenbach? Ein aussergewöhnlicher Riegelbau mitten im Dorf. 1956 aussen sorgfältig renoviert, war er danach lange Zeit die Visitenkarte des Dorfes. Die verrauchte, niedrige Gaststube im Parterre gelegen (mit Blick durchs Fenster direkt auf die Beine der auf der Strasse gehenden Dorfschönen), das Säle im 1.Stock, die gut gehende Metzgerei mit Schlachthaus; ja fast wie ein kleines Dorfcenter, neudeutsch ausgedrückt. Das vor 1743 erbaute Gebäude überstand drei Dorfbrände. Ein altes Tavernenrecht sicherte dem jeweiligen Wirt verschiedene Vorrechte zu. Nun, in der neueren Zeit ist es, trotz verschiedener Umbauten, und Verbesserungen in betrieblicher Hinsicht, nach kurzer Blüte immer mehr abwärts gegangen mit dem Engel. Die Wirtschaft ist wegen Konkurs geschlossen und, wer weiss, wird der ehemals stolze Fachwerkbau ein Schandfleck mitten im Dorf. Weniger bekannt ist sicher, dass die obersten Stockwerke des für Ottenbach doch recht stattlichen Hauses gar nie ausgebaut wurden, sei es , dass kein Bedürfnis vorhanden war, oder dass das liebe Geld fehlte. Möglicherweise liegt der tiefere Grund auch in einer höchst seltsamen Begebenheit, die sich ums Jahr 1802 ereignet haben soll. Die Historie ist eine Nacherzählung, wie ich sie von meinem längst verstorben Vater gehört habe. Er wiederum hat sie zur vorgerückten Stunde am Stammtisch im „Löwen“ (jetzt Gemeindehaus) von einem alten Ottenbacher gehört.

Schwarzer Kater

Feierabend! Küefer-Ruedi legte sein Werkzeug zur Seite und räumte gewissenhaft seine Werkstatt auf. Ein Schlummertrunk war wohl verdient, aber wo? Der naheliegende Engel war seit drei Wochen geschlossen. Die Obrigkeit in Zürich hatte die Schliessung verfügt. Streitigkeiten wegen des Taverenenrechtes waren der Grund. Ja, dann halt in den „Rosengarten“. (Haus Muristr. 6) Auch nicht schlecht. Die Wirtstochter Seline war ja wirklich zum Anbeissen hübsch. Ruedi schloss seine Bude im Chloschter und schritt wohlgemut Richtung „Rosengarten“. Ein grässliches Geräusch schreckte in aus seinen Seline-Träumen auf. Es tönte wie das Miauen einer Katze in Todesangst. Ruedi stand bockstill und horchte. Eine eigenartige Ruhe lag mit einem Mal über dem Dorf. Doch jetzt, wieder dieses fürchterliche Kreischen. Aus dem Engel kommt's! Da ist ein Tier in Not. Hier muss geholfen werden! Die beiden Haustüren sind verschlossen, doch ein Fenster gegen das Schlachthaus hin ist nur angelehnt. Bis zum 2. Stock kennt Ruedi den Weg gut, hatte er sich doch schon öfters am bärbeissigen Wirt vorbei in die Gesindekammer geschlichen. Das Katzengejammer ertönte wieder, eigenartigerweise nur noch ganz leise. Das musste von ganz oben kommen! Also noch ein Stockwerk höher. Das Abendlicht drang gelblich durch die halbgeschlossenen Fensterläden, und erfüllte den grossen Dachraum mit einem diffusen Dämmerlicht Da, ganz oben im Giebel war noch eine Zimmer eingebaut, nur über eine Leiter erreichbar. Wieder leises miauen. Sicher war das arme Tier in der Kammer eingesperrt und am Verdursten. Rasch die paar Sprossen erklommen, Türe auf und ......

Ruedi erstarrte, er spürte wie sich seine Nackenhaare aufstellten, Hühnerhaut breitete sich an Armen und Beinen aus, der Atem blieb ruckartig weg, schreien wollte er, schreien.... Vor ihm stand sprungbereit ein riesiges schwarzes Tier, mit unglaublich grossen Augen, den Rachen weit aufgerissen, die gelblichen, Raubtierzähne zum  Reissen bereit. Ein ekliger Schwefelgeruch breitete sich aus. Ruedi wich vor Schreck zurück, verfehlte die nächste Sprosse und fiel. Jetzt kam sein Schrei. Hart schlug er auf dem Bretterboden auf. Dunkelheit. Aus.  

Am anderen Morgen hörte der Pfarrer in seinem Studierzimmer vom Engel her ein klägliches Katzengejammer. So irgend ein blödes Viech musste dort eingesperrt sein. Nein , so konnte er keine Predigt vorbereiten. Er beorderte Sigristen August herbei. Er solle die Katze befreien. Er könne ja noch Davids Schang von der Schmitte mitnehmen, wenn man die Türe aufbrechen müsste. Kurz darauf standen beide völlig verstört vor dem entseelten Körper des Küefer-Ruedi. Die Arbeitsjacke und das Barchenthemd waren aufgerissen, Gesicht und Brust wie mit Bärenpratzen zerfetzt! Das nackte Grauen stand den Beiden ins Gesicht geschrieben. Ein zartes miauen aus der Kammer oben ganz rechts lies Gusti und Schang aufblicken. Trotz der schrecklichen Tatsache, dass Ruedi tot vor ihnen lag, musste natürlich noch der Auftrag des Pfarrers ausgeführt werden. Schang nahm sich ein Herz, erklomm die Leiter, stiess die Türe auf und ...

Ein kleiner schwarzer Kater stolzierte an ihm vorbei, sprang elegant die Leiter hinunter, marschierte stracks an Ruedis Leiche vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen und entschwand in die unteren Gemächer.

Ein penetranter, ekliger Schwefelgeruch breitete sich im Raum aus.


                                                                                                  22.2.97     O. T. Bächler.