Lindenprotokoll

Aus Ottenbach
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Nr.014 Ottebächler März 1982

"Lindenprotokoll", entnommen einem „Eingesandt“ aus dem Anzeiger für den Bezirk Affoltern aus dem Jahre 1966:

Inmitten des Dorfes, etwas eingeengt durch Strassenzüge, steht unsere Dorflinde. Sie scheint manchmal, wenn die riesigen Transporter auftauchen, etwas fehl am Platze. Der Baum hat aber nach Ansicht des Berichterstatters immer noch seine Berechtigung. Zur Erinnerung sei aus dem Protokoll der Gemeindeversammlung folgende Eintragung festgehalten:

Lindenprotokoll

Am 25. April 1920 beantragte der Gemeinderat in der Kirche zu Ottenbach der versammelten Gemeinde das Fällen der an die 170 jährigen Dorflinde. Morsch und krank bis ins innerste Mark, vermochte das stolze Wahrzeichen längst vergangener Zeiten kaum noch seine altersmüden Aste zu tragen. Schweren Herzens gab die Gemeinde die Zustimmung, aber verpflichtete die Behörde zugleich, auf eben demselben Platze, mitten im Dorfe, ein neues junges Reis zu pflanzen. Tatkräftig und freudig gingen darauf hin der Gemeinderat und Gemeindeförster Albert Berli, auf die Suche. Es war ein langwieriges, tagelanges Suchen, bis droben im Isenberg im so genannten Gibel, an sonniger Halde, die passende Linde gefunden war. In zuvorkommender Weise verschenkte der Eigentümer Fritz Nyfeler, der Gemeinde das hoffnungsvolle Reis und kurze Tage später, es war am 4. Mai, fiel in Anwesenheit der gesamten Behörde und vieler Dorfbewohner, der alte Lindenbaum, der seit bald zwei Jahrhunderten mit ein Teil der Bevölkerung war. Ihr klagte der Ottenbacher sein Leid, oder vertraute ihr manch fröhliche Kunde. Aber schon am 9. Mai 1920 wurde das junge Reis, von dem damaligen Gemeinderat, Jakob Berli, Präsident; Heinrich Berli, Vize-Präsident; Albert Schneebeli, alt Präsident; Jakob Nievergelt, Gutsverwalter; August Spörri, Rickenbach, von seinem alten Standort im Isenberg abgehoben und an den heutigen Standort gebracht, wo die alte Linde dieser Jungen ihren Platz reserviert hatte. Blicken wir noch ganz kurze Zeit zurück. Oh!! Schauten an jenem furchtbaren 1. Augusttage des Jahres 1914 nicht Dutzende von tränenbenetzten Augenpaaren hinauf in ihr dichtes Blätterdach. Ja, als an jenem Frühmorgen jenes sommerlich schönen Tages, all die wehrfähige Mannschaft von Ottenbach sich unter der Linde zum schweren Auszuge an die Grenze sammelte, bereitete diese Zeugin längst vergangener Kriege segnend ihre kräftigen Aste über weinende Eltern, Frauen und Bräute aus. In ihren grünen Zweigen rauschte es von Zuversicht und Hoffnung. Schon anderthalb Jahrhunderte hat die Bevölkerung zu ernsten und heiteren Stunden sich unter der Linde versammelt. Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen des werdenden Frühlings jubelte manch frohe Kinderschar zu den knospenden Zweigen hinauf. Dann ertönte jeweilen bis in die Dämmerzeit hinein fröhliches Lachen und Jauchzen zu munterm Spiel. Und wenn dann die strahlende Maiensonne rings in den herrlichen Obstgarten die schlummernde Blütenpracht erweckte, begann's auch in der Linde zu treiben und zu spriessen. Am Auffahrtstag eines jeden Jahres beschattete ihr junges Grün eine fröhliche Jünglingsschar, die mit Armbrust und Banner gerüstet, still und andächtig den vaterlandstreuen Worten eines der ihrigen lauschte. Doch erst in den lauen Sommernächten, fanden sich dann nach des Tages Mühen und Arbeit unter der duftenden Linde Männer und Frauen zu manch ernsthafter Rede! Wohl manch ein liebend Paar hat sich, berauscht von dem süsslichen Blütendufte, das Jawort fürs Leben gegeben. Ja, unter der Linde hat sich alles gefunden. Sie war der Sammelpunkt der ausziehenden Schüler und der Vereine. Und einmal noch im Jahre sah sie das ganze Volk. Wenn von den Höhen Freudenfeuer und aus den Tälern Glockenklänge weithin den Geburtstag der alten Schweizerfreiheit verkündete, dann fand sich das ganze Dorf unter ihren kosenden Zweigen. Nun steht sie nicht mehr und ist vom Erdboden verschwunden. Um zwanzig Franken samt dem Abholz hatte unser Gemeindebürger Jakob Hegetschweiler- Bär (David's) im Ausserdorf, das Fällen der Linde übernommen, und rasch fiel unter seinen und seiner Söhne wuchtigen Axthieben der lebensmüde Baum. Es war am 4. Mai 1920. Dafür aber reckt heute bereits eine junge Linde ihre jugendlichen Äste der lachenden Frühlingssonne entgegen. Möge sie wachsen und gedeihen, Hunderte von Jahren und dereinst zukünftigen Generationen Kunde bringen aus ferner alter Zeit. Möge sie bessere Jahre erleben als ihre Vorgängerin, ihre Blätter kosen, ihre Blüten duften über einem Volke, das vom Kriegselend und Kriegsnot nichts weiss. „FRIEDENSLINDE“ soll sie heissen und unsere Nachkommen daran erinnern, dass eine Menschheit sie gepflanzt, die in schweren, ernsten Zeiten, nach jahrelangem, blutigem Ringen der Völker Europas, sich nach Frieden sehnte. Diese Zeilen wurden diesem Protokoll einverleibt im Auftrag des damaligen Gemeinderates, durch den Präsidenten: Jakob Berli- Hauenstein

P.S. der Redaktion: Diesen Beitrag verdanken wir Herrn Jakob Hofstetter, Ruchweid, Ottenbach. Mit Blick auf die bevorstehenden Umgebungsarbeiten im Zusammenhang mit der Dorfkern- Überbauung, gewinnt das „Lindenprotokoll“ bestimmt an Aktualität und könnte als zusätzlicher Denkanstoss dienen! März 1982


… 3 Fotos S/W aus dem Ottenbacherbuch und Paul Schneebeli eingescannt